Positionen

Pepsi für die Welt

Noch bis zum 21. April 2018 ist im Nürnberger Atelier- und Galeriehaus Defet die Ausstellung HIGH RES LOW BROW zu sehen – von Götz Gramlich, Florian Kuhlmann und Timothy Shearer. Letzterer wurde 1976 in South Boston, Virginia geboren und lebt heute als Künstler und Musiker in Köln. Im Interview, das die Hintergründe seiner künstlerischen Praxis beleuchtet, spricht er über den World Trade-Center Architekten Minoru Yamasaki, Polizeigewalt in Amerika, Saturday Night Live und seine Skepsis gegenüber theoretischen Einordnungen.

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LÜCKE Der amerikanische Architekt Minoru Yamasaki lebte von 1912 bis 1986. Was fasziniert dich so an seinen Projekten?

Timothy Shearer Mich fasziniert natürlich seine architektonische Arbeit – aber insbesondere auch die gesellschaftlichen Phänomene, die mit seinen Bauten verbunden sind. Er hat die Twin Tower des World Trade Centers entworfen, und auch die weniger bekannte Pruitt-Igoe Wohnsiedlung in St. Louis: ungefähr 2800 Sozialwohnungen, die 1955 fertig gestellt waren und schon zu Beginn der 1970er Jahre wieder gesprengt wurden. Ein einschneidendes Projekt, das irgendwo zwischen Planung, Umsetzung und Realität scheiterte.

LÜCKE Warum wurde die Siedlung abgerissen? Und welche Bedeutung hat das für dich?

Timothy Shearer Das Scheitern dieser Idee steht in der Theorie für einen bestimmten Faktor in der Postmoderne, oder vielleicht auch sinnbildlich dafür, dass ein utopischer Gedanke im Realen nicht so leicht umgesetzt werden kann. Ich bin kein Experte, was Yamasaki angeht, aber ich glaube, dass er aufgrund seiner humanistischen Ideale gefragt wurde, die Siedlung zu planen. Afroamerikaner und weiße Bevölkerungsteile sollten zusammengebracht werden, aber die weißen Bewohner sind schnell wieder weggezogen, in die sogenannten Suburbs. Für mich gehört das zu den Metanarrativen des amerikanischen Mythos, des american dream, also die Idee und Überzeugung, das Land selbst zu besitzen. Das finde ich faszinierend, also diesen Mythos, ein Territorium zu besitzen. Es gibt viele Metaebenen und Bedeutungsebenen, die sich um Yamasaki herum aufdrängen. Ich denke, beim Angriff auf die Twin Tower ging es um dieses ikonische Bild, auch um Territorium – und aufgrund der architektonischen Beschaffenheit sogar um eine Verdopplung dieses Bildes. Auch bei der 2008er Finanzkrise ging es um die Hochstapelei von Territorium. Es ging um den Immobilienmarkt, um die Fehleinschätzung der Realität, was dazu führte, dass viele american dreams nicht erfüllt werden konnten. Eine letzte Bemerkung dazu ist die skurrile Tatsache, dass der aktuelle Präsident der Vereinigten Staaten aus der Branche des Real Estate und dem Reality TV kommt.

LÜCKE Du hast das Areal besucht und fotografiert. Eines der Bilder hast du auf eine Jacke gedruckt. Spiegelverkehrt ist das Schild GUN FREE SCHOOL ZONE zu sehen … ein Schulgebäude, das offenbar stehen geblieben ist. Wie war es dort insgesamt?

Timothy Shearer Das Areal, oder was davon übrig geblieben ist … Ich hatte ein sehr unangenehmes Gefühl dort. Der ganze Stadtteil ist niedergerissen, andere Häuser drum herum stehen zum Teil alleine da wie Hüllen. In der zerstörten Landschaft war es bitterkalt. Außerdem hatte ich manchmal das seltsame Gefühl, ich würde das Leiden der »Anderen« dokumentieren. Ich wollte nicht die Realität vor Ort missbrauchen, aber ich glaube, es war wichtig, den Blick noch mal darauf zu richten.

LÜCKE Das alles findet Eingang in deine Theorie bzw. in dein Nachdenken über die sogenannte Metamoderne. Was macht für dich die Gegenwart aus, betrachtet von einem metamodernen Standpunkt?

Meine Sicht auf das Thema Metamoderne ist stark geprägt von Beobachtungen, die mit »meinem« Land zu tun haben. Also vielleicht eine amerikanische Sicht auf die sogenannte Metamoderne. Im Endeffekt ist es mir aber wichtiger, die Themen als solche zu besprechen, anstatt alles unter einen theoretischen Schirm zu bringen. Eine Komponente, die ich erläutern möchte, ist, dass eine Art Hyperrealität zum Massenphänomen geworden ist. Wenn mediale Erlebnisse durch’s Internet betrachtet werden, ohne anderen Kontext, fragt man sich manchmal: Ist das echt, eine Parodie, is it Fake?

Ich möchte auch die Fragwürdigkeit der amerikanischen Polizeigewalt ansprechen, ihre mediale Präsenz, und ihre Entwicklung. In den 90er Jahren wurde eine der ersten Reality Shows sehr populär, COPS, bei der ein Kamerateam mit Polizisten rumgefahren ist, um ihren Alltag zu dokumentieren. Wir fragten uns damals, wie viel davon nur für die Kamera inszeniert worden war. Es gab zu der Zeit sogar »dramatic re-enactments« von Geschehnissen, die nicht gefilmt worden waren, aber wohl stattgefunden hatten. Schon damals war es eine absurde Art der Hyperrealität – und überhaupt fraglich, weil das Leiden von »Anderen« Entertainmentcharakter bekam. Zu der Zeit tauchte auch die Rodney King-VHS-Aufnahme auf, die die Riots in Los Angeles auslöste. Obwohl es die Videodokumentation (also Beweismaterial) gab, wurden die Polizisten, die ihn brutal attackiert hatten, freigesprochen.

Fast forward, mehr als 20 Jahre. Philando Castile’s Tod wurde im Juli 2016 von seiner Lebensgefährtin auf Facebook live gestreamt. Er wurde während einer Führerscheinkontrolle erschossen. Diese Tat löste Proteste aus, einer von vielen des Black Lives Matter-Movements.

Bei einem anderen #BLM-Protest, etwa eine Woche später, entstand ein Foto: Eine weibliche Afro-Amerikanerin steht friedlich, ruhig und alleine vor einer Reihe von Polizisten, die auf sie zu gerannt kommen. Ein sehr prägnantes Foto, das die Stärke dieser Person zeigt.
Etwa eineinhalb Jahre später habe ich eine Parodie davon auf YouTube gesehen, in seiner Bildsprache relativ ähnlich. Das war von Saturday Night Live inszeniert, und bezog sich auf einen Pepsi Werbespot. Dabei wurde der Regisseur des Spots gezeigt, der mit Verwandten und Nachbarn telefonierte. Er meinte, er sei kurz davor, diesen Werbespot zu drehen. Alle meinten: auf keinen Fall solle so was Polarisierendes als Werbespot dienen. Ich lachte, als ich das sah, fand es vollkommen absurd, irritierend, ohne jeglichen Geschmack. Nachdem der SNL-Skit zu Ende war, erschien die tatsächliche Pepsi-Werbung in meinem Youtube-Feed, die mit Kendall Jenner. Ich könnte einfach nicht fassen, dass sich irgendjemand so was ausdenken lässt. Ich realisierte unzählig viele Bedeutungsebenen, und ich spürte, aus wie vielen Richtungen ich getriggerd wurde. Mir wurde schlecht.

Ist dieser Pepsi-Spot das metamoderne Äquivalent zum postmodernen »I’d like to buy the world a Coke«?

LÜCKE Du arbeitest mit Tapeten, mit Videos, Fotografien. Gibt es einen durchgängigen ästhetischen Ansatz, den du verfolgst, um derartige Phänomene künstlerisch aufzuarbeiten?

Timothy Shearer Ich bediene viele Arten von Ästhetik, zugleich mag ich es aber nicht, wenn die Arbeiten nur eine Ästhetisierung anstreben… I guess this might come from my puritan background, also mich darin zu ergehen, und gleichzeitig skeptisch bezüglich meines eigenen Outputs zu sein. Ich möchte nicht didaktisch sein, aber es sollte etwas Didaktisches beinhalten. Ich möchte mich nicht in meine Ästhetik verlieben, aber es sollte visuell funktionieren. Diskurs ist mir wichtig, aber ich finde, der künstlerische Diskurs ist fast schon vorüber – was sich wiederum im fast perspektivlosen politischen Diskurs spiegelt. Dennoch kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken und künstlerisch zu arbeiten. Nur: wie positioniert man sich dazu? Eine Kunstfigur der Konzeptkunst aus den 70er Jahren macht ein Selfie mit einem Popstar der 2000er auf einem kommerziell gesponserten Event, um Instagram vollzuspammen. Das kann ich genau so wenig ernst nehmen wie einen Präsident, der rund um die Uhr – ohne Filter, ohne Autokorrektur, ohne grammatikalisches Geschick, und ohne Faktenkenntnis – in die Welt twittert. Jeder, der eine Kamera, eine Foto-Montage-App und Internetzugang besitzt, kann mitmachen. Kommunikationsdesign ist nicht mehr ein elitäres Handwerk für Profis, sondern eine Ausdrucksmöglichkeit digitaler Amateure. Für mich ist es genau so irritierend wie reizvoll, ich beobachte es kopfschüttelnd und kichernd, und das Oszillieren in dieser emotionalen, kognitiv überfordernden Achterbahn hat großen Einfluss auf meine künstlerische Praxis.
Ich würde nie behaupten, dass meine Kunst metamodern sei, aber mein Nachdenken über politische Ereignisse und meine künstlerische Arbeit fließen unweigerlich ineinander. Im Endeffekt mag ich es nicht, in eine Schublade gesteckt zu werden – aber es ist wie es ist, und manchmal brauchen Betrachter einen Kontext, um Orientierung zu finden.

 

 

 

 

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Alle Abbildungen © Timothy Shearer; Ausstellung HIGH RES LOW BROW im Galerie- und Atelierhaus Nürnberg.

Timothy Shearer,
geboren 1976, Künstler und Musiker, lebt in Köln. Studium an der Virginia Commonwealth University, Richmond/USA, und der Kunsthochschule für Medien Köln. Die Kulturstiftung NRW förderte 2016 das Ausstellungs- und Publikationsprojekt Texting while Driving, das er gemeinsam mit Vera Drebusch realisierte.

Webseite von Timothy Shearer.

Das Interview führte Joshua Groß.

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Dieser Beitrag wurde von der Redaktion veröffentlicht.

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