Todessehnsucht beim Anblick von Meteorstürmen, neue Situationen und Hypothesen und Räume, die stilisierte und schwärmerische Beschreibung eines fotometrischen Doppelsterns, Sozialutopien, mysteriöse Ereignisse, romantische Ideen. Wie stellen wir uns die Zukunft vor? Wie stellen wir uns die Zukunft der Kunst vor? Leonhard Hieronymi (*1987) antwortet auf diese Fragen mit einem Manifest der Ultraromantik.
1.
Wahrheit kann nicht gefunden werden, indem man einen Stift nimmt und versucht, ehrlich zu sein. Wahrheit entsteht durch Fiktionen. Ehrlich sein muss man nicht, wenn man Science-Fiction schreibt. Ehrlich ist man automatisch. Man ist nackt, weil man seine tiefsten Fantasien offenbart.
2.
Die Romantik und das Romantische bestehen aus Wahrheit, wenn es um das Gefühl und die Natur geht. Ein Wald ist nicht nur ein Wald, er ist immer auch das Konglomerat eines ganzen millionenjährigen Seelenlebens.
3.
Die Handlung in Science-Fiction Texten ist zwar fiktiv, aber sie ist ehrlich und leidenschaftlich, wenn der Autor an seine Fiktionen glaubt. Die Figuren in vielen Science-Fiction Texten sind aber oft schabloniert, ihre Gefühle entsprechen nicht denen der Romantik. Manchmal ist die Technik lauter und größer als das Gefühl.
4.
Das Romantische kreiert menschliche Normen. Die Science-Fiction Erleuchtung.
5.
Es gibt tiefe Ebenen der Wahrheit in der Literatur, und vielleicht gibt es auch eine bisher unbekannte Form der Wahrheit, die man als Ultra-Wahrheit bezeichnen würde. Die Ultra-Wahrheit ist sicherlich mysteriös und schwer zu fassen. Sie kann theoretisch durch die Zusammenlegung des Romantischen mit der Science-Fiction geschehen. Dadurch entstünde die Ultraromantik oder Science-Romantik. Diese Zusammenlegung fordert vom Schriftsteller ein hohes Maß an Vorstellungskraft und zwingt ihn zur radikalen Stilisierung seines Werks.
6.
Die Ultraromantik ist so: Mensch, Gefühle und Natur sind romantisch, die Handlung ist futuristisch und wahr. Alles ist ehrlich. Alles ist Leidenschaft. Alles ist Schnelligkeit, alles Fortschritt. Nie ist etwas Langeweile.
7.
Science-Fiction-Texte, die ultraromantisch sind, tragen Züge der Augmented-Reality Games. Sie sind erweiterte Realität: Jenseits der Realität = Ultra-Realität. Ultra-Realität + Romantik + SCI-FI = Ultraromantik.
8.
Zeitreisen sind keine Sünde und lange Spaziergänge durch alte Wälder bedeuten Rechtschaffenheit.
9.
Ein gepanzerter Handschuh. Ähnlich stelle man sich die Ultraromantik vor.
10.
Der Mond dient nicht als ultraromantisches Motiv, er ist besiedelt.
11.
Das Leben im All darf nicht als Hölle dargestellt werden. In der Science-Fiction ist das All eine Hölle, durch die man irrt. Diese Hölle ist oft so dramatisch dargestellt, dass die Weltraumfahrer neue Planeten besiedeln, um dieser Gefahr zu entrinnen. Das All ist aber eine Welt der Romantik und seine Beschreibung muss schwärmerisch sein, voller Enthusiasmus. Die Übersiedlung auf fremde Planeten ist vor allem deshalb obligatorisch.
12.
Die Ultraromantik ist ein Physik- und Mathematikstudium, das ohne Probleme abgeschlossen wird und während dem man sich in eine junge Frau und einen jungen Mann gleichzeitig verliebt.
13.
Taten sind für Ultraromantiker das Wichtigste. Worte wiegen wenig und die erbärmlichste ultraromantische Figur ist eine, die nur redet und blendet und dabei nichts tut und nichts kann. Der Blender kommt aber vor. Er ist die gefährlichste aller Figuren. Man darf ihm nicht verfallen.
14.
Wenn sich eine Figur in einem ultraromantischen Werk im Weltall befindet, dann leugnet sie niemals ihre Heimat, auch nicht im kleinsten Detail. Sie leugnet weder ihr Elternhaus, noch ihre Heimatstadt und auch nicht ihren Planeten. Sie kann kritisieren, aber sie kann sich nicht abwenden. Den im dreizehnten Punkt genannten Blender kann man daran ausmachen, dass er seine Heimat leugnet und auf sie spuckt. Für ihn ist seine Heimat an jeder Ecke ein Grab, auf das er uriniert.
15.
Die Ultraromantik ist die romantische Variante des Cyberpunk. Aber sie kann kein Subgenre der Science-Fiction sein. Die Ultraromantik ist auch keine neue Periode der Romantik.
16.
Ultraromantik! Das sind Reisfelder außerhalb der Städte Osaka, Kobe, Tokyo, Kyoto, Yokohama und Sapporo im Jahr 2079.
17.
Schnelligkeit, große Handlungssprünge und postmoderne Merkmale sind der Ultraromantik nicht fremd. Im Gegenteil. Die Ultraromantik scheut die Postmoderne nicht, sie ist ihr egal. Wenn es um die Postmoderne oder den Poststrukturalismus geht, kennt die Ultraromantik keinen Intellekt, dann fehlt ihr der Antrieb zur Auseinandersetzung.
18.
Die Handlung eines ultraromantischen Werks muss zwar Science-Fiction Merkmale aufweisen. Sie kann aber die Gegenwart beschreiben. Das ist erlaubt, solange man innerhalb der Handlung auf seltsame Figuren stößt oder unbekannte Eintragungen in der Natur entdeckt, die nicht aus dieser Welt stammen. Immer müssen Rätsel und Rituale entweder zukünftiger oder fremder Welten vorliegen.
19.
Ein Baum muss aus Metall sein und Blitze sind immer nur scheinbar Blitze. Lichter generell sind in der Ultraromantik keine normalen Lichter.
20.
Autorinnen und Autoren dieser Ultraromantik, oder Science-Romantik, sind Touristen, die alte Burgen und Starfighter zur gleichen Zeit fotografieren.
*****
Leonhard Hieronymi (*1987), lebt in Hamburg. Studium der Informatik, Philosophie und Deutschen Literatur in Offenburg, Wien, Berlin und Mainz. Er schreibt Science-Fiction unter dem Pseudonym Jakob Fries und veranstaltet alle zwei Monate die Literatursendung Ist das noch Literatur? zusammen mit dem Korbinian Verlag.
Ludwig Nikulski (*1989), lebt in Berlin. Studium der Bildenden Kunst und Philosophie in Greifswald.
Alle Abbildungen © Ludwig Nikulski.
Auf dem Blog der Literaturzeitschrift metamorphosen veröffentlichte Leonhard Hieronymi eine ergänzende Erklärung zur Ultraromantik.