Jede Lobby hat ihr ganz eigenes System von Öffnung und Schließung, von Ein- und Ausgangsritual, von Zeremoniell. Dieses System funktioniert wie eine unsichtbare Barriere. Dabei passt sich die Lobby ganz dem jeweiligen gesellschaftlichen, visuellen, monetären oder politischen Gestus des Hotels an. In der Serie Land und Lobby (Ein Hotelführer der Gegenwart) besucht der Berliner Journalist Johannes Hertwig (*1984) verschiedene Hotellobbys und geht der Frage nach, in wie weit diese exemplarisch für das Gefühl unserer Gegenwart stehen.
»Then after the show, it`s the after party / and after the party, it`s the hotel lobby …«
(R. Kelly)
Land und Lobby (Ein Hotelführer der Gegenwart)
Teil 2: Hotel Adlon Kempinski.
Wieder Tristesse Royal.
Die härteste Tür Berlins – jedenfalls psychologisch. Mir erscheint sie unüberwindbar. Ich stelle mein winterverdrecktes Fahrrad außer Sichtweite neben Starbucks ab, verberge den Turnbeutel in meiner Jacke und nehme stattdessen mein MacBook in die Hand. Ein peinlicher Versuch, mit westeuropäischen Kulturcodes die Hürde der Tür zu überwinden. Den Blick fest auf die Tür gerichtet, dabei aber dem des Türstehers ausweichend, nähere ich mich dem Eingang. Da kommen mir Touristen aus dem Türbereich entgegen. Ganz gewöhnliche Touristen in geschmacklos bunter Kleidung. Die Mauer fällt. Man kann da reingehen, einfach so. Niemand hält einen direkt ab. Da ist nur die schiere Wucht des Geistes aus Status, Geld, Macht, Tradition und Image, vor der man zurückschreckt und sich nur sehr schwer darüber hinweg setzen kann. Denn das Adlon war einer der Ursprungsorte der Lobby-Kultur in Deutschland.
Um 1900 war auch die Institution Hotel in Europa im Wandel. Die europäische Oberschicht wollte nicht mehr nur eine Übernachtungsmöglichkeit, sondern eine öffentliche Bühne, um Bälle, Dinner und andere Festlichkeiten zu zelebrieren. Das Ritz in Paris und London machten den Anfang, das Astoria in St. Petersburg und das Imperial in Wien folgten. 1907 war es dann soweit und Berlin bekam seine Bühne: das Adlon. Die Eröffnung war ein voller Erfolg. Der Hochadel verkaufte seine Winterpalais und mietete dafür gut beheizte Suiten. Das Hotel am Brandenburger Tor wurde zu einem Haus des Sehens und Gesehen-Werdens. Europas Könige und Kaiser, der Zar von Russland, der Maharadscha von Patiala, aber auch Industrielle und Politiker wie Thomas Edison, Henry Ford, John D. Rockefeller, Walther Rathenau, Gustav Stresemann und Aristide Briand waren berühmte Gäste. Der erste Weltkrieg konnte dem nichts anhaben (vgl. die Membran). In den 20er Jahren stolperte Chaplin durch die Lobby, in der auch Marlene Dietrich entdeckt wurde. 1929 schrieb die Berliner Morgenpost: »In der großen Halle des Hotels hörte man die Sprachen aller Kulturnationen durcheinander schwirren«.
Der Fall begann mit dem Aufstieg des NS-Regimes. Zu international und weltoffen war das Haus. Dennoch überstand es den 2. Weltkrieg als eines der wenigen Häuser am Pariser Platz unbeschadet, brannte dann jedoch wenige Tage nach der Kapitulation vollständig nieder. Erst 1997 öffnete das Adlon, das jetzt Adlon Kempinski hieß, wieder. Es war nicht mehr viel mehr als ein Name wie ein Archiv, der in einem ebensolchen historistischen Archivgebäude versteckt liegt.
Fast ein Jahrhundert nach der Eröffnung traf sich hier das popliterarisches Quartett und debattierte nach dem Motto Tristesse Royal über alles, was den Beteiligten so einfiel, flanierte im Bademantel durch die Flure und Lobby und sprach von der Symbolkraft der Faltung des Toilettenpapiers: Irony is over. (Die Lektüre hilft übrigens beim Überwinden von Eingangs-Barrieren.)
Jetzt steh ich also in der Drehtür, eingestellt auf eine Enttäuschung. Die Internet-Bildrecherche hatte wenig Spezielles befördert: ein Brunnen, leicht billig aussehender Luxus, der übliche Marmor. All das ist weg, als die Drehtür den Blick in die Halle öffnet. Die Bilder haben zwar nicht gelogen, aber was sie nicht darstellen konnten, ist die Aura. Über die PA empfängt mich Frank Sinatra. Der Weg von der Tür bis zu einem der Jugendstil-Tische in der Mitte der Lobby Bar ist wie ein Referat zu Schul- und Unizeiten, ein Rausch, der hoffentlich besser koordiniert aussah, als Johnny Depps Trip in Fear and Loathing in Las Vegas.
Die Sessel sind bequem. Erst einmal Luft holen und zurücklehnen. Ja, die Menschen sind noch immer relativ gewöhnlich. Keine exaltierten Millionäre, Scheichs oder Künstlerfiguren. Aus irgendeinem Grund stell ich mir vor, Brian Wilson hätte sich hier, mitten auf den Marmor, seinen Sandkasten aufschütten lassen, in dem er dann mit Feuerwehrhelm Pet Sounds komponiert. Das hilft. Langsam komme ich an. Und doch nicht. Es ist grandios. Nichts hier fühlt sich an wie ein wirklicher Ort. Die Bedienungen wirken wie Stewardessen, die Kellnerin sieht aus wie eine junge Maggie Gyllenhaal, verschiedene Sprachen kreuzen den Raum, man spricht über Reisen nach London, New York, Abu Dhabi und am Nebentisch essen rich kids Eis aus einer Etagere. Nur der mittelmäßige Cappuccino mit einem Brandenburger Tor aus Kakao verrät die Lage. Für 7,50€ – ich gebe 10: zu viel Trinkgeld passt hier sehr gut – gibt es dazu kleine Nuss-Gugelhupfe und ein Weinglas voll Leitungswasser. Alle drei Minuten kommt tatsächlich ein KellnerInnen-Tross mit einer Magnum-Flasche Moët & Chandon aus der Tür neben der Bar. Alles ist so unglaublich abgefedert und leise, auch ohne die dicken Teppiche. Es ist das Lebensgefühl Schimmerlos aus Dietls Kir Royal.
Was diese Lobby ausmacht ist schwer greifbar. Am besten gibt es vielleicht das Bild wieder, das im Kopf entsteht, wenn man folgenden Satz als SMS bekommt: Sitze gerade im Adlon und schreibe den Text fertig.
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Hier lesen Sie Teil 1: Raum im Raum (Vorüberlegungen zu einem Lobbyismus).
Alle Abbildungen © Johannes Hertwig.
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