Jede Lobby hat ihr ganz eigenes System von Öffnung und Schließung, von Ein- und Ausgangsritual, von Zeremoniell. Dieses System funktioniert wie eine unsichtbare Barriere. Dabei passt sich die Lobby ganz dem jeweiligen gesellschaftlichen, visuellen, monetären oder politischen Gestus des Hotels an. In der Serie Land und Lobby (Ein Hotelführer der Gegenwart) besucht der Berliner Journalist Johannes Hertwig (*1984) verschiedene Hotellobbys und geht der Frage nach, in wie weit diese exemplarisch für das Gefühl unserer Gegenwart stehen.
»Then after the show, it`s the after party / and after the party, it`s the hotel lobby …«
(R. Kelly)
Land und Lobby (Ein Hotelführer der Gegenwart)
Teil 3: Grand Budapest Hotel.
Zeit ist nebensächlich und schreibt die besten Geschichten.
Eine kleine, spielzeughafte Bergbahn ist der einzige Weg in diese zwar exklusive, aber auch für alle zugängliche Wunderwelt jenseits der Zeit. Eine Welt, die »immer schon vorbei ist«, wie Monsieur Gustave, der aus einer ebensolchen Welt zu kommen scheint, konstatiert. Dieses Manko wird durch Habitus, Ausstattung und ein besonderes Zwischen-Gefühl ausgeglichen. Es steht für eines der faszinierendsten und schönsten Elemente der Lobby: Ihre Artifizialität.
Die Lobby hat nie etwas Gewachsenes. Sie ist geplant, in all ihrer unwirklichen Symmetrie, all dem größenwahnsinnigen Gestus und visuellen Blendwerk. Wer etwas Echtes sucht, oder gerne verankert bleibt, ist hier fehl am Platz. Die Lobby ist ein Ort für Träumer. Man sollte diese Künstlichkeit schätzen, sich ihrer bewusst sein und gewillt, in sie einzutauchen. Der Schritt in den Kaninchenbau ist der Test für alles, was danach kommt: Absurde Momente, gepflegte Langeweile, Geschichten aller Art. Wollte Baby Schimmerlos in Dietls Kir Royal wissen, was in München »so passierte«, gab es für ihn nur ein Ziel: Die Lobby des Hotels Bayrischer Hof. Ob die Geschichten dann wahr waren oder nicht, war nebensächlich – Hauptsache gut erzählt.
Die Lobby des Grand Budapest Hotel ist all das in purer Form. Sie ist wie ein Film, irgendwie vergangen und doch zeitlos. Sie ist die Bühne für alle Arten von Geschichten: Romanzen, Thriller, Politik, Storys von Agenten, Femme Fatales und Underdogs. Es wundert nicht, dass der ehemalige Lobby Boy mittlerweile Inhaber des Hotels ist. Dieser Boy kennt jede Geschichte, die sich jemals im Hotel ereignet hat. Er versammelt sie alle in sich, ohne zu plaudern, und macht sie so erst möglich. Seine Erinnerung und Imagination sind die personifizierte Lobby. Und der Boulevard der Räume.
Der Architekt des Hotels, Wes Anderson, ist bekannt für absoluten Symmetriewahn und perfekte Farbkombinationen, die so in der Natur nicht vorkommen – also für perfekte Künstlichkeit. Er ist ein Meister der Oberfläche und rekonstruiert artifizielle Welten, die einer imaginären Ordnung folgen, am Basteltisch. Damit liefert er einen wunderbaren Gegenpol zu all der Unordnung und all dem Chaos außerhalb der Lobby. Der Aufstieg des Totalitären in Zubrowka etwa – dem Land, in dem das Hotel steht – findet erst spät seinen Weg in die Hotellobby. Und ist dann auch komplett deplatziert in diesem offenen Raum des internationalen Austausches. Denn die Lobby ist ein politischer Ort des Unpolitischen, ein Raum auf (gefühlt) zwischenstaatlichem Boden und damit ein Fanal der Menschlichkeit jenseits nationalistischer Tendenzen. Inspirieren ließ sich Anderson bei diesem Werk von Stefan Zweig. Für einen wie Zweig – Kosmopolit, Anti-Nationalist und überzeugter Europäer – ist die Lobby somit das perfekte Symbol der Idee europäischer Sophistication, einer internationalen Welt ohne Grenzen, in der jeder ein- und ausgeht, der sich dieser Vision verbunden fühlt. Hannah Arendt hat Zweig dieses Träumerische vorgeworfen, aber manchmal schadet es auch nicht, Träume zu Wirklichkeit machen zu wollen. Von alle dem erzählt die Lobby des Grand Budapest Hotel.
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Hier lesen Sie Teil 1: Raum im Raum (Vorüberlegungen zu einem Lobbyismus).
Hier lesen Sie Teil 2: Hotel Adlon Kempinski.
Alle Abbildungen: Screenshots
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