Diskurs

Der Hund auf dem Sofa

Wie echt ist irgendwas? Anke Schlecht erzählt von Täuschungen und Kunst.


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Da liegt er, der Hund, mit einem traurig-treuen Schulterblick in die Polster eines weißen Ledersofas gekuschelt. Doch das pixelige, mit dem Smartphone aufgenommene Filmchen macht in einer Art investigativen Akt deutlich, dass es sich um eine Illusion handelt: der Hund ist ein Plüschkissen. Im Bereich des viralen Internetfilmchen hat sich das Hundevideo – ebenso wie der noch populärere Cat Content – als eigene klassische Gattung etabliert. Aufnahmen von niedlichen Tieren, die drollige Dinge tun, haben einen gewissen Unterhaltungswert und generieren als YouTube-Video, als animiertes GIF oder als Meme zuverlässig Höchstzahlen von Klicks, Likes und Interaktionen. Die Videovariante mit dem Hund, der als Kissen enttarnt wird, kann man nun lustig oder banal finden und nach dem einmaligen Sehen vergessen. Wenn man das Filmchen jetzt aber eh schon angeklickt hat, könnte man das wackelige Video zum Anlass für eine weitergehende Reflektion nehmen.

Tatsächlich stehen der Hund beziehungsweise das Hundekissen in einer langen kunsthistorischen Tradition: der Kunst der Täuschung und des trickreichen Spiels mit Erwartungen. Schon Plinius d. Ä. (der 79 n. Chr. die Beobachtung des Ausbruchs des Vesuvs nicht überlebte) schilderte in einer vielfach zitierten Legende anschaulich die Möglichkeiten der Malerei. Zwei Maler, Parrhasios und Zeuxis, stritten darüber, wer der Beste sei. Zeuxis malte daraufhin ein an Naturnähe so überzeugendes Bild, dass sogar Vögel herbeigeflogen seien, um an den dargestellten Trauben zu picken. Siegessicher wollte Zeuxis den Vorhang, der das Bild seines Konkurrenten verdeckte, zur Seite schieben, um dessen Wettbewerbsbeitrag zu sehen. Erst in diesem Moment merkte Zeuxis, dass der Vorhang gemalt war …

Sehen und Erkennen sind zweierlei. Von Anfang an experimentierte die Kunst mit den jeweiligen Mitteln ihrer Zeit, um (u. a.) eine perfekte Sinnestäuschung zu erreichen. Die Entdeckung der Funktionsweise der Zentralperspektive in der Renaissance ermöglichte es räumliche Tiefe zu simulieren. Durch das Zusammenspiel von Architektur, Skulptur, Malerei, Farbe und Licht entstanden im Barock opulent angelegte Erlebnisräume, die Betrachterinnen und Betrachter als Augenzeugen an einem überirdischem Ereignis teilnehmen ließen oder einen direkten Blick in himmlische Sphären suggerierten (beispielsweise Andrea Pozzo in Sant’Ignazio in Rom).

Diese vorsätzliche Täuschung wurde gerade der barocken Kunst immer wieder zum Vorwurf gemacht, aber genau das ist ja die Absicht der Inszenierung! Der Mensch soll in seinen Sinnen berührt werden. Funktioniert der Trick und verwischt die Grenze zwischen Realität und Illusion, kann man sich der Wirkmacht dieser Kunst kaum entziehen. Gattungs- und epochenübergreifend zeigte zuletzt die Ausstellung Die Lust der Täuschung – Von der Antike bis zur Virtual Reality in der Münchner Kunsthalle einen Überblick zur Kunst der Illusion. Allerdings beschäftigt man sich – nach kurzer Zeit leicht übersättigt – kaum mehr mit dem Werk und der Darstellung an sich, sondern wartet auf den Überraschungseffekt der nächsten Abbildungstechnik.
Anschaulich spielt die Kunst der Anamorphose mit der bis heute ungebrochenen Faszination für Wahrnehmungstäuschungen, die beispielsweise im Manierismus zahlreiche Vexierbilder entstehen ließ: nur in einem bestimmten Blickwinkel oder nur mit einem Hilfsmittel wie einem gebogenen Spiegel erschließt sich die Darstellung.
Bis in die Gegenwart ist die Anamorphose ein künstlerisches Mittel (das neben dem bloßen Effekt auch mit Bedeutung aufgeladen sein kann, aber nicht muss). Schließlich feiert die Pflastermalerei in diversen Fußgängerzonen der Welt wunderbar instagrammable und völlig sinnfreie Erfolge. Als Beispiel findet sich im folgenden Video eine Auswahl – auch wenn sich die Begeisterung mit jedem Klick etwas erschöpft und die unterlegte Klaviermusik nervt.

Bei der Künstlerin Esther Kempf ergibt sich in der Installation homesick (2005) aus dem verstreut liegenden Müll erst durch die Aufnahmen der über dem Chaos schwebenden Videokamera eine Bedeutung. Die verrätselte Versuchsanordnung verwandelt sich via Bildschirm in eine road-movie-eske Landschaft, in der die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos aufblitzen – realiter ein Milchtropfen aus einem umgekippten TetraPak.

Unterschiedliche Sichtweisen auf eine Beziehung mitsamt ihren Täuschungs- und Enttäuschungserfahrungen überträgt die für ihre gestalterisch aufwändigen Musik-Videos bekannte US-Band OK Go in The Writings on the wall in eine unendliche Variante von optischen Illusionen. Was der eine sieht, muss für den anderen nicht das Gleiche bedeuten, auch wenn er Dasselbe sieht.

Erstreckt sich die Täuschung nicht sowieso auf alle Lebensbereiche? Die Wechselspiele zwischen Schein und Sein sind fester Bestandteil der kulturgeschichtlichen Praxis. Und je beiläufiger die kunstvolle Illusion in den Alltag eingebunden ist, je unauffälliger sie sich gibt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie funktionieren wird … vor allem dann, wenn sie den Erwartungsvorstellungen entspricht.

Als Ergänzung zur optischen Täuschung (die mit Darstellungstechniken operiert) könnte man also auch über inhaltliche Täuschungen nachdenken; zu nennen wären retouchierte Social Media-Lebenswirklichkeiten, erfundene Emo-Reportagen eines gefeierten Jung-Journalisten oder die vielen gekauften bzw. plagiierten Doktortitel diverser Politikerinnen und Politiker sowie viele andere potemkinsche Dörfer.
Die nicht nur für das Grafikdesign ikonische Visitenkartenszene aus American Psycho bringt es mit der oberflächigen Projektion von Perfektion auf dem Punkt: kaputte Menschen mit intakten Fassaden – da bleibt nur der Wahnsinn.

By the way und allem Kulturpessimismus zum Trotz: Wahrnehmungstäuschungen und andere alternative Fakten sind keine Erfindung unserer Zeit, wie man beim Stöbern in alten Sammlungen urbaner Legenden sehen kann – nur sind sie heute viel leichter und schneller verbreitbar.

Bei diesem Spektrum an Täuschungen nimmt sich ein Hundeplüschkissen als Trompe l’oeil der Digitalmoderne geradezu rührend schlicht aus. In dem Filmchen wird ein treuer Freund auf dem Sofa als 3D-Kissendruck simuliert und der Illusionseffekt noch durch die schlechte Aufnahmequalität des Filmes verstärkt. Charakteristisch für die Entstehungszeit des Werks sind die leichte und billige Wiederholbarkeit der kunstvollen Täuschung (einfach nochmal klicken) und die Verfügbarkeit der Illusion für jeden (für rund 10 Euro ist das Kissen auch in anderen Motivvarianten erhältlich). Das Kunstwerk ist also im Zeitalter der billigen Reproduzierbarkeit angekommen.

Trotzdem: Selbst wenn die Funktionsweise erkannt ist, bleibt die überraschende Wechselwirkung aus vorsätzlichem Täuschen und verblüfftem Ent-täuschen faszinierend. Daher werden solche Objets Trouvés aus den unendlichen Weiten des Internets auch weiterhin fleißig geteilt werden.

Brauchen wir das? Ja, denn wir staunen, jedes Mal. Und das Staunen war ja schon immer der Anfang der Erkenntnis.







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Die Kunsthistorikerin Anke Schlecht ist Mitarbeiterin des Instituts für moderne Kunst.

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Dieser Beitrag wurde von der Redaktion veröffentlicht.

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