Gemeinsam arbeiten die Brüder Abel (*1985), Carlo (*1985) und Max Korinsky (*1984) in Berlin an der Idee einer audio-architektonischen Ästhetik, im Atelier Korinsky. Alexander J. Roth hat sie ebendort getroffen und interviewt – und dabei kollektive Statements aufgezeichnet, die um vertikale Zugänge, Kaufhausmusik, Kommerzialisierungsgefahren und die Wissenschaftsgeschichte des Klangs kreisen.
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Es geht um das Nichtsichtbare, das im Hörbaren Gestalt bekommt. Um Orte, die ihre Geschichte nur mittels eines Klangs erzählen können. Um die Interaktion von Raum- und Zeitstrukturen, von Materialität und Sinnlichkeit. Sound und Architektur. In synästhetischer Weise finden psychologische wie physiologische Aspekte verschiedener Wahrnehmungsvermögen zueinander und ermöglichen ein Erleben, das sich für das Neue öffnet, neue Blickwinkel ermöglicht, die immer zugleich auch eine akustische Dimension haben, also sozusagen Positionen des Hörens sind.
Eine nicht gerade leicht greifbare Thematik also, die im Zentrum der konzeptionellen Matrix steht, die im Atelier Korinsky verhandelt wird, und die sich in der künstlerischen Praxis den Sinnen doch so unmittelbar erschließt. Korinsky – das sind die Brüder Abel, Carlo und Max, die seit einigen Jahren als Künstlerkollektiv das Atelier für vertikale Flächen in Berlin betreiben. Hinter diesem Naming verbirgt sich ein ästhetisches Programm, das im Grunde auf einer physiologischen Beobachtung fußt:
»Die Idee, unserem Atelier den Beinamen zu geben, entstand aus einer langen Diskussion über unseren Arbeitsansatz. Zusammenfassend kann man sagen, dass unsere Arbeiten anfangs tatsächlich einen starken Fokus auf die Vertikale hatten. Insbesondere unsere Rauminstallationen gehen von einem akustische Phänomen aus, das erst durch die vertikale Höhe erreicht wird. Dabei nutzen wir die evolutionsbedingte Anatomie unseres Gehörs, dass wir Klänge auf der horizontalen Ebene (also auf Höhe unseres Ohres) besser lokalisieren können als solche, die aus der Höhe oder Tiefe (also vertikaler Ebene) kommen. Auf diese Weise können wir akustische Illusionen erzeugen.«
In ihren künstlerischen Arbeiten zeigen Korinsky die Folgerichtigkeit einer Vereinigung zweier rezeptiver Kapazitäten auf, die über Jahrhunderte in der kanonischen Kunsttheorie irrtümlicherweise als voneinander getrennte – respektive zu trennende – Register betrachtet wurden: Das Auge und das Ohr. Eine Einsicht in die Logik dieser Zusammenarbeit bringt auch ein Hinterfragen der traditionellen Vorstellungen des Verhältnisses von Raum- und Zeitkunst mit sich. So wurde in der musikwissenschaftlichen und musikästhetischen Forschung bis ins spätere 20. Jahrhundert hinein dem basalen Verhältnis von Musik und Raum wenig Bedeutung eingeräumt – was vermutlich dem vorherrschenden Bewusstsein geschuldet war, das Musik primär als Zeitkunst zu verstehen sei. Diese Auslassung durch die Forschung ist umso verwunderlicher angesichts des vitalen Praxisinteresses an der Räumlichkeit von Klängen, das seit Jahrhunderten die Arbeit von Musikschaffenden begleitet. Korinsky wissen um die historische Bedingtheit ihrer Schaffenstechnik:
»Mit Sicherheit haben sich Künstler/ Musiker schon sehr viel früher Gedanken zum Verhältnis von Musik und Raum gemacht. Ein berühmtes Beispiel ist der Markusdom in Venedig aus dem 16. Jahrhundert, der einer der ersten Experimentalräume war, in dem Künstler die Wirkung von Musik auf Architektur nutzten. So wurden beispielsweise Instrumente getrennt oder die Mehrchörigkeit zu neuen Formen geführt.«
Ein Katalysator für die Beschäftigung mit den räumlichen Aspekten des Klanglichen respektive Musikalischen, die im 20. Jahrhundert zunehmend auch Raum in der Forschungsliteratur einnimmt, war dann die Entstehung neuer Felder wie Sound Studies und die Einrichtung entsprechender Studiengänge an den Kunstuniversitäten, durch die Vorstellungen wie der des Tonkünstlers/der Tonkünstlerin als Klangforscher/in nun auch akademisch ummantelt sind.
Mit diesem Bild können sich Korinsky, die ihre Ausbildung zum Teil an der Universität der Künste Berlin in ebenjenem Fachbereich absolviert haben, aber nur bedingt anfreunden:
»Sicher, man kann auf eine lange Historie der Symbiose von Forschung und Kunst zurückblicken, in der Forscher herausragende Künstler (und auch umgekehrt) waren. Für uns, aber auch für viele andere Künstler unserer heutigen Zeit, lässt sich Kunst und Forschung nicht mehr klar trennen. Wir befassen uns mit komplexen wissenschaftlichen Fragen u.a. der Endlichkeit von Schall, die sich nicht mehr umfassend beantworten lassen, ohne dass man tiefer in die Theorie einsteigt. Dennoch würden wir uns selber nicht in erster Linie als Klangforscher bezeichnen, sondern als Künstler mit dem Fokus auf dem Schaffungsprozess neuer Arbeiten – zu dem, wenn notwendig, auch das Forschen zu Klang gehört.«
Die partielle Notwendigkeit des Forschens nehmen die drei Brüder durchaus ernst: So nutzen sie für die Generierung ihrer audiovisuellen Kunstwerke zum Teil komplexe Programmierungen, für die sie eine eigene Software, das Vertical Sound Lab, entwickelt haben. Für diesen innovativ-schöpferischen Impetus wurde das Atelier 2012 mit einer Förderung vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie der Bundesrepublik sowie der Europäischen Union honoriert. Diese Forschungsbereitschaft verdeckt jedoch nicht die Tatsache, dass für Korinsky Technologie und Wissenschaft nicht zum Selbstzweck, sondern eher als Mittel zur Herstellung eines künstlerischen Effektes verstanden werden, der nicht selten mit der Kreation einer bestimmten Atmosphäre zu tun hat. Eine Überzeugung, die umso deutlicher zu Tage tritt, wenn man die Liste der Orte und Gebäude betrachtet, die das Atelier zum Schauplatz ihrer künstlerischen Arbeiten gemacht hat, wie beispielsweise die Max-Schmelling-Halle, den Berliner Dom oder ein stillgelegtes Kraftwerk.
Orte, die alle auf besondere Weise atmosphärisch codiert sind. Diese Erkenntnis, die für Korinsky vor allem auch eine rezeptionsästhetische, sozusagen kuratorische Seite hat, vereint rationale und emotionale Gesichtspunkte:
»Die Atmosphäre eines Ortes hat für uns eine große Bedeutung, weil sie einer der wesentlichen Faktoren ist, der sich für jeden einzelnen Besucher anders darstellt und häufig ein großer Kontrast entsteht zwischen dem leeren Ort oder demselben Ort mit unseren Klängen. Die Installationen machen Atmosphäre zum Teil sogar sichtbar, weil man an dem Verhalten der Besucher ablesen kann, wie die Klänge und der Ort auf sie wirken. Insofern ist Atmosphäre natürlich sehr emotional zu verstehen. Anders als bei einem Konzert gibt es ja bei uns keinen klar definierten Anfang oder ein Ende. Deshalb ist das persönliche Empfinden wichtig bei der Entscheidung, wie lange man in einem Raum oder an einem Ort bleibt. Mit der atmosphärischen Wirkung von Geräuschen an einem speziellen Ort müssen wir uns also sehr genau beschäftigen. Auf diese Weise ist es uns viel präziser möglich, bestimmte Atmosphären für die Besucher zu erzeugen.«
Dass die Qualität der atmosphärischen Empfindung mitgedacht ist und auf gestaltungsstrategischen Vorüberlegungen beruht, bleibt für den Besucher im Verborgenen der Illusion, für den sich die Inszenierung auf betörende Weise natürlich, zum Teil sogar organisch anfühlt, wie es beispielsweise bei der Arbeit Volum III der Fall ist: Hier wird ein alter, tunnelartiger Wasserspeicher im Berliner Prenzlauer Berg mit einem orchestrierten Amalgam aus ambientesquen Sound-Figuren und zerstreuten Lichtkonturen zum klanglichen Erstrahlen gebracht.
Damit die Betrachtenden den gestalteten Ort als das erfahren können, was er ist oder werden soll, nämlich eine Art perzeptives Fenster zu einer anderen, alternativen Wahrnehmung von Welt und Sein, bedarf es selbstverständlich einer fein austarierten Komposition seitens der Kunstschaffenden, die nicht zuletzt auch mit ganz dinglichen Aspekten wie Bausubstanz und architektonischer Materialität befasst sein muss. Nicht zufällig erfasste Schelling in seiner Vorlesung zur Philosophie der Kunst von 1803 die Bedeutung des Architektonischen für die Musik mit der Vorstellung, dass Architektur als »erstarrte Musik« betrachtet werden könne. Etwas später variierte Goethe dieses Denkbild und sprach von Architektur als »verstummte Tonkunst«. Beide Vorstellungen haben gemeinsam – und hier waren Musikphilosophie und Dichtung weiter als Musikwissenschaft –, dass sie dem Verhältnis von Musik und Raum erste zaghafte theoretische Konturen geben und die Hierarchien der Künste untereinander in Frage stellen. Eine Entwicklung, die Korinsky im Hinblick auf das eigene Schaffen, das von einer Symbiose von Musik und Architektur lebt, begrüßen:
»Das Verhältnis der Künste zueinander ist oft ein nicht ganz einfaches, die Hierarchien verschieben sich und so auch die gesellschaftliche Bedeutung einzelner Kunstrichtungen. Es ist kein Zufall, dass die Architektur im frühen 19. Jahrhundert mit der Musik verglichen wird. Immerhin galt die musikalische Symphonie schon seit der Aufklärung als die absolute künstlerische Ausdrucksform. Sie war ein Vorbild für alle Künste. Wir sehen ja auch, dass in der Sprache viele Begriffe aus der Musik in andere Disziplinen übertragen wurden. Bei einem Bild sprechen wir selbstverständlich über den Rhythmus oder die Komposition. Der Bedeutung von Klängen für die Architektur wird inzwischen mehr Aufmerksamkeit geschenkt, auch weil etwa die raumbildende Qualität von Geräuschen empirisch nachgewiesen ist. Wir greifen in unserer Arbeit sowohl auf die physikalische Wirkung bestimmter Töne als auch auf ihre ästhetischen Möglichkeiten zurück. Sie unterstützen sich gegenseitig und dadurch entstehen besondere Klangräume.«
Das Bedeutungsgeflecht von Klang und Raum hat neben diesen gestalterischen Aspekten noch eine zweite, wenn man so will, sozialkritische Ebene. Diese manifestiert sich in häufig diskutierten Fragen wie den folgenden: Wem gehört der öffentliche Raum? Was ist sein Zweck? Wer darf ihn wie gestalten?
Als Kunstschaffende, deren Arbeiten sich vornehmlich solcher public spaces auf kreative Weise bemächtigen, sie in gewissem Sinne nicht nur umgestalten, sondern auch umdeuten, bewegen sich Korinsky grundsätzlich auf einem Parkett, das von politischen Diskursen ganz unterschiedlicher Art durchzogen ist. Dieses Eingebettetseins ist sich das Kollektiv durchaus bewusst:
»Kunst lässt sich nur schwer von sozialen und politischen Themen trennen. Und da Kunst auch immer eine Position einnimmt, und sei sie noch so subjektiv, kann sie natürlich auch beabsichtigt oder unbeabsichtigt sozialkritisch sein. Dabei ist es eigentlich egal, ob öffentlicher Raum oder nicht – eine Position müssen wir zwangsläufig immer beziehen. Die Interpretationshoheit liegt am Ende aber nicht in unseren Händen.«
Die Thematik des Politischen lässt sich noch in eine andere Richtung hin ausweiten: Adornitisch gesprochen könnte man die Klanggestaltung des öffentlichen Raumes im Sinne einer kulturindustriellen Funktionalisierung problematisieren, die nicht selten dort stattfindet, wo die Grenze von Kunst und Kommerz sich in konsumförderlichen Klangwolken aufzulösen droht; Phänomene wie Werbe- und Kaufhausmusik, Themen wie Soundmarketing oder Soundbranding sind unbestreitbar Domänen, mit denen sich Sound Designer beschäftigen – sei es aus veritablem Interesse am Gegenstand, oder aber dem Umstand geschuldet, dass viele Klangkunstschaffenden ihren Lebensunterhalt nicht alleine mit Preisgeldern bestreiten können. Korinsky leugnen dieses Problem nicht, sondern wissen es in Relation zu setzen:
»Ja, aber das ist ja kein spezifisches Problem von Klangkünstlern. In der visuellen Kunst spielt der Kommerz doch eine viel größere Rolle, allein auf dem Kunstmarkt, der mit gigantischen Summen für Malerei jongliert. Davon ist die Klangkunst fast nicht betroffen. Das hängt natürlich auch mit dem Phänomen der ortsspezifischen Arbeiten zusammen, die sich einfach schlecht für eine Kommerzialisierung eignen. Kommerz in der Klangkunst ist dann vielleicht eher so etwas wie eine große Popularität oder ein wachsendes Publikum, im Grunde so wie in der Musik. Zu Werbe- und Kaufhausmusik können wir nicht viel sagen, wir machen sie nicht, wurden dafür auch noch nicht angefragt. Das ist gar nicht unser Thema. Problematisch ist vielleicht eher die Dauerbeschallung, die die Sensibilität für Klänge beeinflusst.«
Es scheint also nicht zu befürchten, dass die Korinsky’sche Kunst demnächst aus Lautsprechern dröhnend zum shopping spree in Billig-Modemärkten animiert oder die nächste TV-Werbung für kraftvolle Geländelimousinen dunkel-atmosphärisch beschallt, sondern uns weiterhin die unbezahlbare Möglichkeit gibt, neue, ökonomisch unbesetzte, künstlerische Dimensionen der Raum- und Klangwahrnehmung zu erschließen.
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Webseite von Korinsky.
Gerade ist der Aufsatz »Die ästhetische Wahrnehmung von Architektur durch Klang« von Abel, Carlo und Max Korinsky erschienen, in: Urbanität – Problemfelder der Kunstpädagogik (Athena Verlag).
Alexander J. Roth, *1983 in Aschaffenburg. Studium der Philosophie und Germanistik in Würzburg, München und Berlin. 2010 M.A. an der Universität München mit einer literaturwissenschaftlichen Magisterarbeit. Seitdem Tätigkeiten als freier Autor und Kulturpublizist, Musiker, Lehrer und Dozent. Seine Texte erschienen in Buchpublikationen, Kunstzeitschriften sowie auf dem von ihm betriebenen essayistischen Blog Tausend Ebenen. Labor für experimentelle Kulturpublizistik