Wie sieht es aus, mit dem täglichen Kampf von Kunstschaffenden in der Gegenwart des digitalen Kapitalismus? Eine Betrachtung von Alexander J. Roth.
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Wenn Brian Eno zu Vorträgen in Kunsthochschulen eingeladen wird, ist die Aufmerksamkeit für gewöhnlich groß. Dennoch scheint das Unternehmen in gewisser Hinsicht wenig rentabel, denn zu einer zweiten Einladung kommt es nach Enos Aussage zumeist nicht. Der Grund? Eno richtet sich für gewöhnlich mit einer eigenwilligen Eröffnung an die versammelte Studierendenschaft. Seine Mission: »I’m here to persuade you not to have a job.«[1]
Um eines zu Beginn deutlich zu machen: Dies hier ist kein Text über Brian Eno. Der kurze Ausschnitt aus dessen Vortrag zum Thema Grundeinkommen in der Londoner St. Clements Church aus dem Jahr 2015 ist nur eine Stimme in einem Chor, der immer lauter wird. Dies hier könnte ein Text über Götz Werner, Milton Friedman, Erich Fromm, Martin Luther King, Thomas Morus oder zahlreiche andere Befürworterinnen und Befürworter eines wie auch immer gearteten Grundeinkommens sein, deren Stimme nur nicht mächtig (oder männlich?) genug ist, um in das Diskursbewusstsein gelangt zu sein. Weswegen dieser Text gerade ein Verstärker des Eno’schen Beitrags zu dieser Diskussion sein möchte, gründet zum einen in dem Fakt seines künstlerischen Hintergrundes und zum anderen in einer bestimmten Fokussierung seiner Überlegung. Was Eno nämlich in den Fokus nimmt, ist die produktionssoziologische Situation des respektive der Kunstschaffenden; ein Betrachtungspunkt, der in vielen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Debatten über die Notwendigkeit eines Grundeinkommens fehlt oder nicht ausreichend in den Mittelpunkt gerückt wird. Dabei läge genau auf diesem größte Relevanz, denn:
Die Kunstschaffenden werden die Avantgarde der durch Digitalisierung und Automatisierung arbeitslos gemachten Gesellschaft sein.
Dass fortschreitende Digitalisierungs- und Automatisierungsprozesse in absehbarer Zukunft eine nicht nur sektoriale Arbeitslosigkeitswelle beachtlichen Ausmaßes erzeugen werden, steht wohl außer Frage. Erstaunlich ist dabei, dass Autorinnen und Autoren, die vor diesen Prozessen und ihren gravierenden sozialen Folgen warnen, heute, im Jahr 2018, in manchen Kreisen noch immer als visionäre Avantgarde gelten; ein Richard David Precht kann sich in Talkshows als eine Art Seher gerieren, wenn er mit unheilschwangeren Worten, die eine klandestine Erkenntnis anzudeuten scheinen, Entwicklungen beschreibt, über die Philosophinnen und Wissenschaftler schon vor über 25 Jahren detailliert und konzise publizierten. So formulierte der Philosoph Vilém Flusser bereits 1991 im Rahmen seiner Bochumer Vorlesungen folgenden luziden Gedanken, der eine Zukunft antizipiert, auf die wir uns heute immer unausweichlicher zubewegen:
»Im Grunde sind wir schon alle arbeitslos. Wir werden im Grunde genommen von den Maschinen bezahlt. Sie zahlen doch in Wirklichkeit die Steuern, da sie die harte Arbeit leisten. Aber es gibt Leute, die überhaupt nicht arbeiten und gänzlich von den Maschinen bezahlt werden.«[2]
Nach Flussers Analyse befindet sich die Gesellschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert in einer Art Übergangsstadium: Ein großer Teil der Arbeit wird bereits von Maschinen erledigt und eine Zukunft, in der wir die Maschinen gänzlich für uns arbeiten lassen könnten, sodass sie jede uns lästige Tätigkeit abnehmen, scheint nicht fern. Doch statt dieser Entwicklung positiv-neugierig gesinnt zu sein und die aus ihr resultierende Arbeitslosigkeit zu begrüßen – also zu realisieren, dass durch den technologischen Fortschritt tatsächlich die Notwendigkeit zu arbeiten zunehmend verschwinden wird, und dies als einen fundamentalen Befreiungsakt zu verstehen (nicht zufällig hatte das mittelhochdeutsche Wort »arebeit« noch die Bedeutungen »Beschwernis«, »Leiden«, »Mühe«) –, halten wir an einem holen, überkommenen Ideal von Arbeit als Wert an sich fest, was wiederum ein soziales Klima fördert, in dem arbeitslose Menschen nicht selten stigmatisiert werden:
»Wegen einer seltsamen, ich würde sagen protestantischen Moral – Arbeiten ist gut, und Müßiggang ist aller Laster Anfang –, wegen dieser überholten Modelle glauben wir und glauben die Arbeitslosen selbst, dass sie irgendwie deklassiert sind und wissen daher nichts mit ihrer Muße anzufangen, anstatt im Arbeitslosen eine Avantgarde zu sehen. Das ist eine vorübergehende Sache. Sobald Arbeitslosigkeit nicht Not impliziert, und das es ja kaum noch, sobald ein Arbeitsloser leben kann, wird Arbeitslosigkeit ein positiver Wert werden.«[3]
Die Spuren ebenjener von Flusser aufgespürten protestantischen Moralphilosophie, die im Laufe der Industrialisierung und Entwicklung des Bürgertums in einen Arbeitsfetisch mündete, dessen Wirkmacht durch den geneigten Luther-Leser Karl Marx und andere ökonomische Theoretikerinnen und Theoretiker in die (Post-)Moderne getragen wurde, sind heute noch sehr präsent und dominieren unser gesellschaftliches Denken und Handeln. Anders gesagt: Die Vorstellung, Arbeit sei gut oder tue gut, ist so fest in unseren Köpfen verankert, dass das vielerorts heraufbeschworene Post-Work-Zeitalter der digitalen Nachmoderne, dessen Eintreten Flusser in seiner Kulturkritik schon 1991 voraussah, andererseits doch noch sehr weit entfernt scheint. Vor allem, wenn wir die gegenwärtige soziale Realität vieler Kunstschaffenden betrachten.
Was wir in den Agenturen, Coworking-Spaces und Home-Office-Kathedralen dieses sogenannten Kapitalismus 4.0 sehen, sind Autorinnen und Schriftsteller, die als hochqualifizierte Textexperten ihre Sprache an die Werbung verkaufen und im Minutentakt Worte finden müssen, die ihnen Übelkeit bereiten. Was wir sehen, sind Bildende Künstlerinnen und Künstler, die als vermeintliche »Art«-Directors doch nur Pixel schaufeln müssen, um uns mit seelenlosen Bildern zu überschütten, denen wir eigentlich alle längst überdrüssig sind. Wir sehen schließlich Musikerinnen und Musiker, die als Sound Designer lustlos Klangwelten erschaffen, die genauso beliebig sind wie die Produkte, zu deren rückhaltlosem Konsum sie uns anregen sollen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Vermutlich wird keine Person, die sich ernsthaft mit der Idee des Grundeinkommens beschäftigt, den Titel beziehungsweise das Thema dieses Textes als einen Aufruf zum Nichtstun verstehen. Entgegen eines weit verbreiteten Vorurteils gegenüber der Idee des Grundeinkommens meint Enos Aufforderung »try not to get a job« eben nicht »try not to do anything«, wie er in seinem Vortrag selbst klarstellt. Die von Eno postulierte selbstgewählte Joblosigkeit der oder des Kunstschaffenden zielt eher auf einen kreativen Selbstermächtigungsakt ab, so die Stoßrichtung seiner weiteren Ausführungen:
»Try to leave yourself in a position that you do the things you want to do with your time, and where you take maximum advantage of whatever your possibilities are.«[4]
Ein Grundeinkommen ermöglicht es mir, die mir als Individuum verbleibende Zeit so zu gestalten, dass ich die mir eigenen Potenziale entdecken und optimal nutzen kann. Dieser Gedanke klingt ausformuliert doch erst mal gut und auch gar nicht so kunstspezifisch, wie es Eno vermutlich intendiert hat. Natürlich wollen (das steht fest) und können (das wäre zu diskutieren) wir nicht alle Künstlerinnen oder Künstler werden. Aber gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass nicht alle Menschen mit den gleichen Anlagen und Neigungen geboren werden – wäre es da nicht eine wünschenswerte gesamtgesellschaftliche Entwicklung, wenn wir alle etwas mehr über unsere genuinen Möglichkeiten und somit etwas über uns selbst lernen würden, wodurch wir letztendlich auch sinnvoll zu so etwas wie Gemeinschaft beitragen könnten? Sicherlich würden die meisten Befürworterinnen und Befürworter eines Grundeinkommens diese Frage bejahen. Die Sache ist nur: Manchen geht es hierbei weniger um gesellschaftliche Partizipation und Gemeinwohlorientierung, als primär um frisches Wasser auf die Start-up-Mühlen dieser Welt, um neue Gesichter – junge, mutige Gründerinnen und Gründer mit waghalsigen, verrückten »Kreativideen«, die vor allem für eines sorgen: Das Rad am Laufen halten. Das mag für die einen wichtig sein, jedoch sollte es nicht mit dem verwechselt werden, worum es Eno und vielen anderen Kunstschaffenden geht, wenn sie sich für ein Grundeinkommen einsetzen: nämlich schlicht und einfach um die Möglichkeit, ihre verdammte Arbeit machen zu können, ohne zu verhungern. Was im ersten Moment wie ein Paradox klingen mag – Arbeitslosigkeit als Voraussetzung, um die eigene Arbeit (gut) machen zu können – beinhaltet schon die ganze Problematik des Verhältnisses von Kunstproduktion und Ökonomie. Es spricht von einer jahrtausendealten wirtschaftlichen Geringschätzung des Kunstschaffens. Diese geringe Wertschätzung wirkt umso zynischer angesichts einer gleichzeitigen, in der Modernen sich zuspitzenden Überhöhung der Kunst, die in geistiger Hinsicht in Nietzsches Diktum von einem ausschließlich als ästhetisches Phänomen gerechtfertigten Dasein der Welt[5] und im Materiellen in der Tatsache gipfelt, dass gewisse Kunstwerke auf dem Kunstmarkt im 20. und 21. Jahrhundert zu absurden Summen gehandelt werden.
Zwar besteht landläufig Einigkeit darüber, dass Kunst viel Arbeit macht, jedoch herrschen immer noch Zweifel daran, ob »Kunstmachen« wirklich richtige Arbeit sei. Selbstredend gibt und gab es ausschließlich von Kunst lebende Kunstschaffende, gibt und gab es Mäzenatentum und Auftragskunst, die Museen und Galerien sind voll davon. Aber ist es erstrebenswert, dass die Gesellschaft gegenüber der Kunst eine solche paternalistische, protektionistische, gönnerhafte Haltung einnimmt? Nicht in einer Welt des Grundeinkommens. In einer solchen Welt könnten wir anfangen, uns von diesem alten wie falschen Gedanken zu lösen, dass Kunst subventioniert werden muss. In einer Gesellschaft, die nach den Prinzipien des Grundeinkommens funktionieren würde, hätten wir – wohl erstmals in der Kulturgeschichte – die Chance, Kunst völlig von der Ökonomie, ja sogar von dem Konzept Arbeit (und damit von der per se unsinnigen Frage, ob Kunst eine richtige Arbeit beziehungsweise ob Künstlerin oder Künstler ein richtiger Beruf sei) zu entbinden. Was das für die Kunst, ihre Gestalt und ihre ästhetische Qualität bedeuten würde, lässt sich gegenwärtig kaum vorstellen, basiert unser Denken doch zu sehr auf der Annahme einer marktwirtschaftlichen Quantifizierbarkeit von Kunst, die auch auf die Ästhetik selbst einwirkt. Fest steht jetzt schon: Das Grundeinkommen, dessen Einführung unumgänglich sein wird, würde viele Künstlerleben lebenswerter oder zumindest erträglicher machen, sie von dem Joch des kunstfremden Day Jobs oder der unwürdigen Kunstpreis- und Stipendien-Tingelei befreien – ihnen stattdessen ein selbstbestimmtes, auf eine freie künstlerische Produktion und Entwicklung konzentriertes Leben und Wirken ermöglichen.
In dieser Hinsicht wäre die arbeitslose Künstlerin oder der arbeitslose Künstler die Avantgarde einer von Arbeit befreiten Post-Work-Zukunft.
[1] Basic Income UK: Brian Eno on basic income. Veröffentlicht am 11.01.2016. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=qkD7JBspgas. Zugegriffen am 01.08.2018.
[2] Vilém Flusser: Kommunikologie weiter denken: Die Bochumer Vorlesungen. Hrsg. von Silvia Wagnermaier und Siegfried Zielinski. Frankfurt am Main 2008, S.153 f.
[3] Flusser: Kommunikologie weiter denken, S.154.
[4] Basic Income UK.
[5] vgl. hierzu: Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie. In: Kritische Studienausgabe, Band 1. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München 1999, S.17.
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Alexander J. Roth, *1983 in Aschaffenburg. Studium der Philosophie und Germanistik in Würzburg, München und Berlin. 2010 M.A. an der Universität München mit einer literaturwissenschaftlichen Magisterarbeit. Seitdem Tätigkeiten als freier Autor und Kulturpublizist, Musiker, Lehrer und Dozent. Seine Texte erschienen in Buchpublikationen, Kunstzeitschriften sowie auf dem von ihm betriebenen essayistischen Blog Tausend Ebenen. Labor für experimentelle Kulturpublizistik
Quellenverzeichnis:
Basic Income UK: Brian Eno on basic income. Veröffentlicht am 11.01.2016. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=qkD7JBspgas. Zugegriffen am 01.08.2018.
Flusser, Vilém: Kommunikologie weiter denken: Die Bochumer Vorlesungen. Hrsg. von Silvia Wagnermaier und Siegfried Zielinski. Frankfurt am Main 2008.
Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie. In: Kritische Studienausgabe, Band 1. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München 1999.