Seit 2009 sind Hank Schmidt in der Beek (*1978) und Fabian Schubert (*1974) in Europa unterwegs. Sie reenacten bedeutende Landschaftsmaler, wildern in der Vergangenheit und führen so die Kunstgeschichte fort. Aus den Malereien von Hank Schmidt in der Beek und den Fotografien von Fabian Schubert entstand das Buch Und im Sommer tu ich malen (Edition Taube, 2016). Im Interview spricht Hank Schmidt in der Beek über geisterhaften Blauen-Reiter-Schweiß, Dilettantismus und Carl Spitzweg. Außerdem enthüllt er erstmals die »romantische Rätselsymbolik« seiner Berghemden.
LÜCKE Nachdem du die Kunst- und Geistesgeschichte bislang mit deinen Collagen aufgemischt hast, kann man dich auf den Fotos von Fabian Schubert jetzt höchstselbst dabei beobachten, wie du bedeutende Orte der Malereihistorie heimsucht, bzw. Orte, an denen bedeutende Malereien entstanden sind. Fühlst du dich manchmal anachronistisch?
HANK SCHMIDT IN DER BEEK Nein, so ein Mont Saint Victoire, eine Kirche von Froschhausen oder ein fernschweifender Blick über die Klüfte des Elbsandsteingebirges sind doch etwas vergleichsweise völlig Zeitloses. Und das unbeschreibliche Licht im Blauen Land, das nicht zufällig so genannt wird, lockt ja bis heute nicht nur Fabian und mich an. Ich habe Malerkollegen, die sich mittlerweile sogar dort niedergelassen haben und unter den im Nachwort des Buches erwähnten Murnauer Landkastanien wunderbare Früchte auf ihren Leinwänden ernten. In unserem Buch geht es darüber hinaus natürlich tatsächlich um die kunsthistorische Bedeutung der jeweiligen Orte, ebenso um die Geschichte der Freilichtmalerei und verschiedener Verfahrensweisen der Abstraktion in der Malerei, aber all das hat ja nichts mit einem Anachronismus zu tun.
LÜCKE Wie stehst du zu deinen »Freilichtmalerei-Kollegen«? Erweist du ihnen deine Referenz oder machst du dich über sie lustig?
HANK SCHMIDT IN DER BEEK Fabian und ich haben uns auf ihre Spuren begeben, uns gewissermaßen auf ihre Schultern gestellt und ihre Erfahrungen angezapft, und wenn die Ergebnisse als Referenzerweisung gesehen werden, dann ist das ihnen gegenüber sicherlich nur allzu fair. Jedenfalls schlepp ich doch nicht die Holzstaffelei und die ganzen Leinwände durch die Sommerhitze an all die schönen Orte, um mich über diejenigen lustig zu machen, die mir den Weg dorthin gezeigt haben. Meine Ausdrucksform ist natürlich eine andere als die Caspar David Friedrichs, Monets oder Kandinskys, die wiederum eine jeweils andere ist als die Cézannes, Ferdinand Hodlers oder Gabriele Münters, usw. Aber die Unterschiedlichkeit macht doch die jeweilige Art zu malen nicht zur Max-und-Moritziade. So gebärdet es sich übrigens auch mit meinen oben erwähnten Collagen und Gedichten.
LÜCKE Gibt es eine einleuchtende Begründung, die dein Faible für gestreifte und karierte Klamotten erklärt?
HANK SCHMIDT IN DER BEEK Das muss man differenziert sehen: Ausgangspunkt der Werkreihe – sowohl was die Landschaft als auch was die Hemden betrifft – waren 2009 die (auch im Buch) ersten vier Motive in den Zillertaler Alpen. Ich hatte, als ich in Berlin für diesen Ausflug meine Feldstaffelei und einige kleine Leinwände geschnürt hatte, noch keinen konkreten Malvorsatz, sondern wollte mich in den Bergen inspirieren lassen. Mit im Rucksack waren eben auch meine karierten Berghemden, allerdings zunächst nicht aus künstlerischen Beweggründen, sondern aus reinem Zweck der Wanderslustvermehrung. Der lähmende Überfluss an Eindrücken dort oben auf 3.000 Metern, sowie die Kluft zwischen der Gewaltigkeit der Alpen und der Geringheit meiner Leinwände, haben mich schließlich dazu gebracht, meine Malmotive nicht in der Ferne der Gipfel zu finden, sondern in meiner unmittelbarsten Nähe, am eigenen Leibe. Untersucht man die vier Berghemden übrigens genauer, stößt man auf eine romantische Rätselsymbolik (die ich hiermit gerne preisgebe): Das rotkarierte Hemd war zu dem Zeitpunkt, als die vier Bilder entstanden sind, mein dienstältestes Hemd und hat die Reise in die Zillertaler Alpen nicht überstanden. Wenn man sich Fabians Fotografie genau ansieht, ahnt man auch ein wenig, dass der Ärmel praktisch zerfallen würde, wäre er nicht haltgebend hochgekrempelt. Das gelbe Hemd dagegen hatte ich mir erst wenige Wochen vor dem Bergausflug gekauft. Das rot-blau-karierte Hemd habe ich mir vor Ort vom damals mitwandernden Niklas geborgt. Zusammen schließlich mit dem blauen Hemd ergibt dies alles dieselben traditionellen Bestandteile eines englischen Brautkleides, wie es auch 1981 die Prinzessin der Herzen in der St Paul’s Cathedral trug:
Something old
Something new
Something borrowed
Something blue
Was die späteren Bilder betrifft, so war meine Malpalette im Grunde jeweils das, was mir mein Kleiderschrank anbot.
LÜCKE Nutzt du für dich manchmal (im positiven Sinne) den Deckmantel des Dilettantismus?
HANK SCHMIDT IN DER BEEK Der Titel des Buches klingt vielleicht ein bisschen danach. Den habe ich aus einem Gedicht von Carl Spitzweg umgedreht, in dem es heißt: »…Am Tage nämlich tu ich mal’n / Und abends tu ich dichten«. Bei mir heißt es: »Im Winter nämlich tu ich dichten / Und im Sommer tu ich mal’n«. Beide sprechen wir über unsere Maler- und Dichterei als rein nur Vergnügens Sachen, beziehungsweise klein Plaisir, das ist natürlich lyrisch verdichtete Dick- oder eben Dünntuerei. Als Künstler war Carl Spitzweg zwar durchaus Autodidakt, Dilettant aber nicht, auch wenn sein Grabstein auf dem Alten Münchner Südfriedhof das mit seiner Apothekerfläschchenform (statt beispielsweise einer Pinsel- oder Staffeleiform) gewissermaßen vortäuscht. Carl Spitzweg brach aber mit 25 Jahren seine Apothekerlaufbahn ab und wurde hauptberuflicher Maler. Und was mich betrifft, sehe ich keinen Grund, einen Mantel darüber zu decken, dass ich meine Kunst sicherlich vergnüglich, gleichzeitig aber studiert, erwerbstätig und vollzeitig betreibe.
LÜCKE Glaubst du an Geister?
HANK SCHMIDT IN DER BEEK Du meinst, weil ich im Nachwort des Buches schreibe, dass mir beim Malen der Wind unversetzte Impressionismus-O-Töne durch die Manneport von Étretat und um die scharfen Kanten des Bibémus-Steinbruchs georgelt hat und meine Maß Bier unter den Murnauer Landkastanien ein kleines, aber dennoch spürbares bisschen nach Blauem-Reiter-Schweiß geschmeckt hat? So lautet es zumindest in der Berichterstattung unserer Reisen und genau so würde ich das hier auch mal stehen lassen.
LÜCKE Werdet ihr das Projekt Und im Sommer tu ich malen fortführen? Gibt es noch Schauplätze, die du unbedingt malen willst?
HANK SCHMIDT IN DER BEEK Mit Cézannes Steinbruch von Bibémus (einer der wichtigsten Wiegen der Moderne), dem Mont Sainte-Victoire (dem ersten, als zentrales Bildmotiv vollständig erfassten, modernen Berg der Kunstgeschichte) und der Kathedrale von Rouen, die schon für Monet Gegenstand einer konzeptionellen Bilderserie war (und später, als Zitat, für Roy Lichtenstein), haben wir zwar etliche Schlüsselschauplätze im Buch, aber bisher bewegen sich die Und-im-Sommer-tu-ich-malen-Bilder natürlich in einem sehr überschaubaren – wenn auch wunderschönen – Ausschnitt der Schauplätze des französischen Impressionismus und des Expressionismus in Bayern sowie einem noch kleineren Ausschnitt der deutschen Frühromantik und des Schweizer Symbolismus. Vieles fehlt, allen voran der Golf von Neapel, das Gebirgsdorf Olevano und die Wasserfälle von Tivoli – die drei Hauptmotive der Deutsch-Römer. Die künstlerische Krise über die Erkenntnis, dass die Malerei zwar alle Motive kahl gefressen hat, ohne dabei aber zu einem malerischen Fortschritt gekommen zu sein, diese Krise, die Künstler wie Jacob Philipp Hackert oder Johann Christian Reinhart immer und immer wieder dieselben Wasserfälle und denselben Golf malen ließ, ist ja durchaus verwandt mit meiner Maßnahme, im Angesicht der malerischen Gipfel der Zillertaler Alpen alternativ die Muster der Wanderhemden am eigenen Leibe zu malen und dieses Prinzip zwei weitere Sommer lang an historischen Pleinair-Wirkstätten zu wiederholen. Und natürlich könnte (muss aber nicht) die Liste von Schauplätzen noch länglich bis ins Zahllose fortgesetzt werden: Ein hübscher Kalauer wäre es zum Beispiel, auf den Spuren von Carl Blechens Bau der Teufelsbrücke zu probieren, ob und wenn ja, wie man mittlerweile in der Schöllenenschlucht die Reuss überqueren kann. Lovis Corinths Vierwaldstättersee oder Ernst Ludwig Kirchners Insel Fehmarn wiederum würden, allein wegen des schönen Wiedererkennungseffektes der Bildunterschriften, zum Malen einladen. Fabian riefe (hätten wir genug Zeit, Geld und vor allem Muße dazu) der Berg Fuji, dessen berühmte 36 Hokusai-Ansichten ein ganzes zweites Buch füllen könnten. Und gleichermaßen locken natürlich immer Paul Gauguin und Emil Nolde in die Südsee.
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Das Interview führte Gert Röcken.
Alle Abbildungen © Hank Schmidt in der Beek, Fabian Schubert, Edition Taube
Hank Schmidt in der Beek, Fabian Schubert
Und im Sommer tu ich malen
2016
Herausgeber: Tilman Schlevogt
Mitherausgeber: Institut für moderne Kunst Nürnberg
72 Seiten, farbig, Hardcover
16 x 21 cm
ISBN 978-3-945900-06-2
Webseite von Fabian Schubert.
Webseite von Edition Taube.