Positionen

Die Eskalation hin zum Phantomschmerz

Das Internet stellt unsere Souveränität in Frage. Haben wir noch die Möglichkeit der Kontrolle? Oder verselbstständigt sich gerade ein Prozess, in dem wir zunehmend gläsern, berechenbar, voraussehbar und manipulierbar werden? Wer sind die Akteure, die darüber entscheiden? Paul Feigelfeld (*1979) denkt zwischen Kulturwissenschaft, Technologie und Kunst über die Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen des digitalen Wandels nach. Im Interview spricht er sich gegen neo-luddistische Tendenzen, aber für kritische Partizipation aus.

Paul Feigelfeld Interview

LÜCKE In einem Vortrag sagst du, wir seien »die Phantomschmerzen digitaler Medien«. Bilden digitale Medien einen Urzustand, von dem wir abgetrennt wurden?

Paul Feigelfeld Für McLuhan waren Medientechnologien Prothesen, die »extensions of man«, d.h. relativ stumpfe, mechanische oder kognitive Werkzeuge. Kittler hat das weitergedacht und kam zu dem Schluss, wir seien die Subjekte von Medien, wobei er hier Subjekte nicht im cartesisch erlösten Licht des denkenden und also seienden Individuums meint, sondern im Wortsinn: Unterworfene. Medientechnologien haben ihre eigene Agenda und eigene Agency; sie speichern, übertragen und prozessieren durch uns durch. Die Eskalation hin zum Phantomschmerz soll zeigen, dass wir in Zeiten ubiquitären Computings und durch Konzerne und Geheimdienste völlig zu Black Boxes gewordenen, hinter dem Begriff der Cloud vernebelten Maschinen kaum noch mehr sind, als imaginiertes Organisches. Wir leben in einer technologischen Wirklichkeit, über die wir kaum etwas wissen. Das lässt sich aber ändern. Es ist völlig egal, ob man Künstler, Theoretiker, Industriearbeiter oder Bauer ist, es betrifft alles und jeden.

LÜCKE Wenn wir imaginiertes Organisches sind: Wer imaginiert uns? Und wie können wir dem gegenüber diesen letzten Rest an Mündigkeit, der uns hoffentlich bleibt und den dein »kaum noch mehr« suggeriert, so nutzen, dass daraus ein neuer Handlungsspielraum entstehen könnte?

Paul Feigelfeld Wir selbst. Und die Algorithmen und die Konzerne und Geheimdienste dahinter. Das Internet ist dahingehend eine Nebelkammer geworden; das angebliche Interface kein Zugang hinein ins Netz, sondern ein schwarzer Einwegspiegel, in dem wir bloß uns selbst sehen, während von hinter dem Spiegel wie bei einem Verhör hinaus geschaut wird. Der Handlungsspielraum ist, glaube ich, relativ gering und so dermaßen auf Kontrolle, Überwachung und Monetarisierung jeder Interaktion geeicht, dass es ein globales infrastrukturelles Umdenken und -bauen bräuchte, um irgendetwas zu tun. Das Internet als Infrastruktur kann ohne Kontrolle nicht funktionieren, das ist ein technisches Apriori… aber sehr wohl ohne Überwachung und Monetarisierung. Entgegen der allgemeinen Annahme, dass wir es wären, die im Internet kommunizieren und interagieren, muss man sich gewahr werden, dass der Großteil der Kommunikation machine-to-machine stattfindet. Auch der Großteil jeder Bildbetrachtung. Bilder sind hochinteressante Datensätze für Deep Learning-Algorithmen, die jetzt schon mehr Bilder gesehen haben als wahrscheinlich alle Menschen aller Zeiten zusammen.

Zum Handlungsspielraum: Digitale Rechte sind hier massiv wichtig. Wir bewegen uns momentan auf einem Stand, der mit dem Seerecht im 17. oder 18. Jahrhundert vergleichbar ist; und wie eine East India Company damals sind es heute eben Alphabet, Facebook etc., die Hand in Hand mit einer militärischen Infrastruktur Recht machen. Digitale Rechte müssen vor allem auch gewährleisten, dass das Internet dereguliert und frei bleibt.

LÜCKE Wenn wir uns in einem Spiegellabyrinth befinden, in dem wir kognitiv immer weiter vereinnahmt werden; können wir dann noch eine Distanz zu den Vorgängen aufbauen, die es uns erlaubt, kritisch gegen die Entwicklung vorzugehen? Oder sind uns die Algorithmen immer schon einen Schritt voraus?

Paul Feigelfeld Es geht nicht darum, eine Distanz aufzubauen, im Gegenteil, die Distanz ist gegeben und wird von den Akteuren wie Konzernen und Geheimdiensten aktiv aufrecht erhalten. Die Hard- und Software ist derart gestaltet, dass sie Zugang erschwert bis unmöglich macht, wobei sie gleichzeitig stromlinienförmiger und slicker wird. Je mehr die Geräte tatsächlich verschwinden, dünner und transparenter werden oder gar ganz in die Cloud abwandern, desto blacker wird die black box. Wir sollten nicht dagegen vorgehen, sondern mitmachen. Kritische Partizipation ist wichtig, mitgestalten an Design- und Legislaturprozessen.

LÜCKE Was hältst du dann von Ansätzen, wie sie z.B. Harald Welzer oder Hartmut Rosa entwickeln (Entschleunigung, Resonanzerfahrungen, Selbstwirksamkeit im Kleinen und womöglich Analogen, erhöhtes Misstrauen gegenüber dem Digitalen, etc.); siehst du darin eine Chance, bzw. siehst du darin die Möglichkeit für eine breite Bewegung, die sich gegen die von dir beschriebene Entmündigung stellt?

Paul Feigelfeld Halte ich für behäbigen, reaktionären Blödsinn an der Grenze zum Neo-Luddismus.

LÜCKE Was kann kritische Partizipation dann sein? Von wem könnte es z.B. ausgehen, dass wir digitale Rechte bekommen? Wir erleben gerade, hauptsächlich passiv, eine signifikante Veränderung (du hast das Unterworfensein angeführt); bräuchte es nicht eine aktive Form von Gegenwehr, um den Status Quo zu verändern? Oder passiert das schon?

Paul Feigelfeld Aktivisten wie Edward Snowden oder Aaron Swartz hat ihre Partizipation ihre Freiheit oder sogar das Leben gekostet. Kritische Partizipation muss auf allen Ebenen stattfinden: In der Schul- und Hochschulbildung, in der Zivilgesellschaft – denn es geht nicht darum nichts zu verbergen zu haben –, in der Wirtschaft und der Politik; wie gesagt vom lokalen Bäcker zum Großkonzern, vom Nachbarschaftszentrum zum Bundestag.

 

 

 

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Das Interview führte Joshua Groß.
Am Donnerstag, den 27. Oktober 2016, nimmt Paul Feigelfeld an der Veranstaltung »Die Konsequenz(en) der Kunst – Demonstrationen von Konsequenz(en)« an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg teil.
Paul Feigelfeld ist der wissenschaftliche Koordinator des Digital Cultures Research Lab der Leuphana Universität Lüneburg. Er studierte Kulturwissenschaft und Informatik und unterrichtet derzeit Technologie und Theorie am Institut Kunst in Basel, der UdK Berlin, der Kunsthochschule Muthesius Kiel und anderen Institutionen. Seine Forschungsgebiete sind die Wissenschaftsgeschichte Chinas, Mediengeschichte und -theorie, künstliche Intelligenz, Überwachung und Kryptologie. Er arbeitet als Autor, Übersetzer und Kurator.

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